Zwischen Philosophie und Lifestyle: Wieviel Yoga steckt im Yoga
Eine Ausflug in die Geschichte von Yoga – und wie es einen Fitnesstrend heraufbeschworen hat.
Machen wir es kurz. Die Übungen, die von unzähligen Yoga-Lehrer*innen, online, in Studios oder sonst wo angebotenen werden, haben meist nicht viel mehr als den Namen mit der traditionellen Praxis des Yoga gemeinsam. Daher lohnt es sich, einen Blick auf die Geschichte des Yoga zu werfen. Denn die beginnt bereits mit den ersten Sanskrit-Schriften, die in etwa aus dem Jahr 1500 vor Christus datieren. Diese ältesten Yoga-Texte, die Veden (was so viel wie heiliges Wissen bedeutet), sind etwas ganz Besonderes. Sie sind eine bunte Sammlung an religiöser Dichtung, Verhaltensregeln, Prosa, rituellen Mantras, heiligen Festen und vielem mehr. Weiterhin entstand aus diesen Texten etwa 500 vor Christus das unumstritten bedeutendste Werk über die Yoga-Philosophie und Yoga-Praxis, verfasst vom indischen Gelehrten Patanjali. Mit dem Yogasutra hat er den ultimativen Leitfaden des Yoga niedergeschrieben.
Der Atem als erstes Werkzeug im Yoga
In diesem Leitfaden schreibt er über die Atmung als erste praktische Methode zur Beruhigung des Geistes. Dabei legt er besonderen Wert auf die Verlangsamung und Verfeinerung unserer Atmung – speziell der Ausatmung. Patanjali betont, dass man darauf besonders achten soll. Bereits vor tausenden Jahren lehrte er Zusammenhänge von Krankheiten und Atmung, die heute von der modernen Wissenschaft bestätigt sind. In den Yogasutren beschreibt er Methoden zur Erreichung eines Zustands der Erkenntnis und des tiefen Friedens. So benennt er nämlich Yoga. Die Atmung ist für ihn dabei das erste Werkzeug.
Das gleiche gilt für Hatha-Yoga, das einen wesentlich körperzentrierteren Ansatz verfolgt. Auch hier ist von den ursprünglichen Lehren und Absichten im heutigen modernen Lifestyle-Yoga-Angebot nicht mehr viel zu finden.
Yoga für die Fitness?
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, das meiste von dem, was heute unter dem Begriff „Yoga“ angeboten wird, ist nicht grundsätzlich schlecht. Denn gezielte und professionell angeleitete Körperarbeit tut uns allen gut, fördert die Gesundheit und das Wohlbefinden. Dennoch haben die Fitness-Vinyasa-Flows heutzutage mehr mit Aerobic, Tanz und Tralala zu tun als mit traditioneller Yoga-Praxis. Doch die Asanas sollte man nicht als Turnunterricht verstehen. Sie setzen ein Verständnis für den Körper voraus. Die Körperhaltungen der Übungen sollen vorhandene Energie kanalisieren und lenken.
Die Asanas sind Haltungen, die den Weg zur inneren Natur öffnen und diese in den Einklang mit dem Kosmos bringen sollen. Die Lehre der alten Inder besagte, dies als Mittel zum spirituellen Wachstum und zur Überwindung irdischer Probleme und Schmerzen einzusetzen.
Den Atem verlangsamen und den Geist beruhigen
Doch bleiben wir – im Sinne von Patanjali – bei der Atmung als erster Methode zur Beruhigung unseres Geistes und betrachten, wie sie die Wahrnehmung beeinflusst. Normalerweise atmen wir 12 bis 15 Mal pro Minute ein und wieder aus. Das entspricht unserem normalen Atemtakt, der uns in Kontakt mit unserer Umwelt hält. Die Yoga-Lehre sagt, verlangsamst du deinen Atem auf neun Takte, beginnst du die Sprache anderer Lebewesen zu verstehen. Reduzierst du auf sechs Atemzüge, verstehst du die Sprache der Erde selbst, bei drei Atemzügen pro Minute wird dir der Ursprung der Schöpfung vertraut.
Es ist uns wahrscheinlich nicht möglich, so tief in die Yoga-Praxis einzutauchen, dass wir mit dem Universum verschmelzen. Doch allein die richtige Kombination von Körperhaltungen und Atempraxis hilft, Harmonie und Leichtigkeit ins Leben zu bringen. Wir sensibilisieren die Wahrnehmung und entwickeln so Schritt für Schritt, Übung für Übung mehr Stabilität und Einklang mit uns selbst und der Welt, in der wir leben. Die Asanas als Körperarbeit mit ein bisschen lautem Schnaufen, Keuchen oder tiefem Atmen zu praktizieren, ist also nicht mehr als eine Turnübung. Diese wird der Tiefe und Intention des Yoga allerdings in keiner Weise gerecht.